Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor
Martin Baltscheit (Text),
Martin Baltscheit (Illustration)
Bloomsbury Kinderbücher & Jugendbücher
ISBN: 978-3-8270-5397-8
13,90 € (D)
Originalsprache: Deutsch
Preisträger 2011, Kategorie: Bilderbuch
Ab 5 Jahren
Jurybegründung
In der Fabel ist der Fuchs schlau, hinterlistig, wild auf Gänse, Hasen und Hühner und fürchtet nur den Jäger und den Hofhund. So war der Fuchs in Martin Baltscheits Bilderbuch Der Fuchs, der seinen Verstand verlor früher auch einmal: Er sah gut aus, war gewitzt und „rot und schnell und immer hungrig“ – ein anerkanntes Vorbild. Für die jungen Füchse dozierte er allwöchentlich über Tipps und Tricks bei einem gemeinsamen Mahl. Kurz:...
Er war ein Meister seiner Branche und ein tollkühner Abenteurer. Dann wird der Fuchs alt – nicht nur graubärtig, langsamer oder kränklich, nein, er wird sehr vergesslich. Erst verwechselt er die Wochentage und geht am Mittwoch in die Kirche. Dann vergisst er auf der Jagd das Jagen und erkennt sein eigenes Spiegelbild im Fluss nicht mehr.
Ein Abenteurer zu sein – das gefällt Kindern im Lesealter dieses Bilderbuches. Aber sie kennen auch das Vergessliche, Schusselige, so etwas wie: „Wo ist dein Anorak?“ nach dem Spielplatz-besuch und die typische Kinder-Antwort darauf „Welcher Anorak?“. Baltscheit schafft eine Verbindung zu den Alltagserfahrungen seiner kindlichen Leser und bringt ihnen auf eine verständliche und behutsame Weise nah, wie es dem Fuchs ergeht. Von Demenz muss man da gar nicht sprechen – es geht vielmehr um eine psychische Verfassung, die auch und gerade Kinder begreifen.
Das schafft Martin Baltscheit nicht nur durch perfekt komponierte Sätze, sondern sehr eindringlich auch in seinen Illustrationen. Sie zeigen die Verwirrtheit des Fuchses angesichts der leeren Kirche am Mittwoch ebenso wie eine gewisse Zufriedenheit und Selbstvergessen-heit, wenn der Fuchs beispielsweise sein Spiegelbild im Fluss für einen sehr interessanten Gesprächspartner hält. Trotz der eher flächigen Bilder vermag es Baltscheit, mit nur wenigen Mitteln eine differenzierte Körpersprache zu entwickeln, die dem Betrachter die Gefühlslage der Figuren veranschaulicht.
Jede Doppelseite hat ihre spezifische Farbigkeit: ein tiefes Rot für die Heldentage des Fuchses, Grau- und Schwarztöne für trübe Tage oder dunkle Farben und schroffe Kontraste, um den Verlust des Selbstkonzepts darzustellen, dann wieder ein Pink für die herzlos triumphierenden Gänse, die „Ich hab dem Fuchs Verstand gestohlen“ intonieren. In der stärksten Szene des Bilderbuches gestaltet der Autor und Illustrator auf einer Doppelseite in einer bewunderns-werten Einheit von Text, Typographie und Bild eine bewegende und drängende erlebte Rede des Fuchses, der von Hunden verfolgt wird, aber nicht recht versteht, was da eigentlich vor sich geht. Besser kann eine solche Verwirrtheit, ein solch grundsätzliches Vergessen allen Wissens über die eigene Person und die Wirklichkeit kaum in Szene gesetzt werden.
Das alles wäre für einen kindlichen Leser kaum zu verarbeiten, wenn nicht Baltscheit auch hier eine Lösung gefunden hätte, ihn mit dem Schicksal des Fuchses auszusöhnen. Eine Lösung, die zugleich ein schönes Statement für soziale Verantwortung der Generationen für einander darstellt. Denn im Leben des Fuchses haben sich die Verhältnisse umgekehrt: War früher er derjenige, der den jungen Füchsen seine gesammelten Lebenserfahrungen vermittelte, kümmern diese sich nun um ihn: Sie heilen seine Wunden, seinen Verstand allerdings können sie natürlich nicht heilen.
Der vielseitige Künstler Martin Baltscheit präsentiert das Thema Demenz anschaulich, mit großer Sensibilität und ebenso viel Humor. So ist ihm ein sehr poetisches und berührendes Bilderbuch gelungen. Die rundum perfekte Gestaltung bis hin zu den ebenfalls durch Demenz aus der Reihe geratenen Seitenzahlen überzeugt ebenso wie die Geschichte mit ihrer Dichte, ihrer Intensität und dem natürlich nicht glücklichen, aber versöhnlichen Ende.
In der Fabel ist der Fuchs schlau, hinterlistig, wild auf Gänse, Hasen und Hühner und fürchtet nur den Jäger und den Hofhund. So war der Fuchs in Martin Baltscheits Bilderbuch Der Fuchs, der seinen Verstand verlor früher auch einmal: Er sah gut aus, war gewitzt und „rot und schnell und immer hungrig“ – ein anerkanntes Vorbild. Für die jungen Füchse dozierte er allwöchentlich über Tipps und Tricks bei einem gemeinsamen Mahl. Kurz: Er war ein Meister seiner Branche und ein tollkühner Abenteurer. Dann wird der Fuchs alt – nicht nur graubärtig, langsamer oder kränklich, nein, er wird sehr vergesslich. Erst verwechselt er die Wochentage und geht am Mittwoch in die Kirche. Dann vergisst er auf der Jagd das Jagen und erkennt sein eigenes Spiegelbild im Fluss nicht mehr.
Ein Abenteurer zu sein – das gefällt Kindern im Lesealter dieses Bilderbuches. Aber sie kennen auch das Vergessliche, Schusselige, so etwas wie: „Wo ist dein Anorak?“ nach dem Spielplatz-besuch und die typische Kinder-Antwort darauf „Welcher Anorak?“. Baltscheit schafft eine Verbindung zu den Alltagserfahrungen seiner kindlichen Leser und bringt ihnen auf eine verständliche und behutsame Weise nah, wie es dem Fuchs ergeht. Von Demenz muss man da gar nicht sprechen – es geht vielmehr um eine psychische Verfassung, die auch und gerade Kinder begreifen.
Das schafft Martin Baltscheit nicht nur durch perfekt komponierte Sätze, sondern sehr eindringlich auch in seinen Illustrationen. Sie zeigen die Verwirrtheit des Fuchses angesichts der leeren Kirche am Mittwoch ebenso wie eine gewisse Zufriedenheit und Selbstvergessen-heit, wenn der Fuchs beispielsweise sein Spiegelbild im Fluss für einen sehr interessanten Gesprächspartner hält. Trotz der eher flächigen Bilder vermag es Baltscheit, mit nur wenigen Mitteln eine differenzierte Körpersprache zu entwickeln, die dem Betrachter die Gefühlslage der Figuren veranschaulicht.
Jede Doppelseite hat ihre spezifische Farbigkeit: ein tiefes Rot für die Heldentage des Fuchses, Grau- und Schwarztöne für trübe Tage oder dunkle Farben und schroffe Kontraste, um den Verlust des Selbstkonzepts darzustellen, dann wieder ein Pink für die herzlos triumphierenden Gänse, die „Ich hab dem Fuchs Verstand gestohlen“ intonieren. In der stärksten Szene des Bilderbuches gestaltet der Autor und Illustrator auf einer Doppelseite in einer bewunderns-werten Einheit von Text, Typographie und Bild eine bewegende und drängende erlebte Rede des Fuchses, der von Hunden verfolgt wird, aber nicht recht versteht, was da eigentlich vor sich geht. Besser kann eine solche Verwirrtheit, ein solch grundsätzliches Vergessen allen Wissens über die eigene Person und die Wirklichkeit kaum in Szene gesetzt werden.
Das alles wäre für einen kindlichen Leser kaum zu verarbeiten, wenn nicht Baltscheit auch hier eine Lösung gefunden hätte, ihn mit dem Schicksal des Fuchses auszusöhnen. Eine Lösung, die zugleich ein schönes Statement für soziale Verantwortung der Generationen für einander darstellt. Denn im Leben des Fuchses haben sich die Verhältnisse umgekehrt: War früher er derjenige, der den jungen Füchsen seine gesammelten Lebenserfahrungen vermittelte, kümmern diese sich nun um ihn: Sie heilen seine Wunden, seinen Verstand allerdings können sie natürlich nicht heilen.
Der vielseitige Künstler Martin Baltscheit präsentiert das Thema Demenz anschaulich, mit großer Sensibilität und ebenso viel Humor. So ist ihm ein sehr poetisches und berührendes Bilderbuch gelungen. Die rundum perfekte Gestaltung bis hin zu den ebenfalls durch Demenz aus der Reihe geratenen Seitenzahlen überzeugt ebenso wie die Geschichte mit ihrer Dichte, ihrer Intensität und dem natürlich nicht glücklichen, aber versöhnlichen Ende.
MEHR
Personen
© Foto: privat
Illustration & Text
Jahrgang 1965, studierte Kommunikationsdesign an der Folkwangschule in Essen. Er arbeitet als Comiczeichner, Illustrator, Kinderbuch-, Prosa-, Hörspiel- und Theaterautor und lebt in Düsseldorf.