Die Zeit der geheimen Wünsche
Iva Procházková (Text),
Peter Knorr (Illustration),
Gabriele Osenberg (Übersetzung)
Jurybegründung
In dieser Erzählung eröffnet sich für die Hauptfigur wie für die Leserinnen und Leser eine fremde Welt. Die zwölfjährige Kapka ist mit ihrer Familie in die Prager Altstadt gezogen, und nun entdeckt sie nach und nach ihre neue Umwelt. Ihr Erlebnishunger, ihr Interesse an Menschen wirken ansteckend. Man hat den Eindruck, mit ihr auf dem Dach herumzuklettern, von dem Riesenhund Halina durch Gestrüpp und Morast gezogen zu werden, alle Winkel und Gässchen des alten...
In dieser Erzählung eröffnet sich für die Hauptfigur wie für die Leserinnen und Leser eine fremde Welt. Die zwölfjährige Kapka ist mit ihrer Familie in die Prager Altstadt gezogen, und nun entdeckt sie nach und nach ihre neue Umwelt. Ihr Erlebnishunger, ihr Interesse an Menschen wirken ansteckend. Man hat den Eindruck, mit ihr auf dem Dach herumzuklettern, von dem Riesenhund Halina durch Gestrüpp und Morast gezogen zu werden, alle Winkel und Gässchen des alten Prag zu erkunden. Stärker vielleicht noch als die Ortserkundungen faszinieren Kapka Entdeckungen von Menschen: Da ist die Fürstin Polozkaja, die in der kleinen Wohnung eines dunklen alten Hauses wohnt und magische Fähigkeiten zu haben scheint. Da ist die alte Apothekersfrau, die verarmt und voller Bitterkeit gegen alle Menschen, von Zeit zu Zeit ihren Nerzmantel aus dem Schrank nimmt und noch einmal die große Dame spielt. Da sind die neue Schulfreundin Teresa, ihre voluminöse Mutter und die Theaterleute Jajin und Veronika. Und da ist vor allem der Altersgenosse Radek, der Kapkas Freund wird. Kapkas Menschbegegnungen stehen vor einem ernsten, ja bedrohlichen Hintergrund. Kapkas Vater ist Künstler. Seine Statuen und Plastiken gelten als kritisch und sind politisch unerwünscht. Eine Straßenausstellung seiner Werke, von der Nachbarschaft organisiert, endet mit einem Verhör und einer Verwarnung. Es bleibt am Ende zweifelhaft, ob der Vater überhaupt weiterhin künstlerisch tätig sein kann. Die kindlichen Leser werden die Hinweise auf die politische Zensur zwar noch nicht konkretisieren, und die Autorin mutet ihnen dieses auch nicht zu. Aber dass es in der Welt der Erwachsenen Zwänge und Bedrohungen gibt, die wider aller Vernunft sind, das lernt Kapka nach diesen Ereignissen zu ermessen. Eine Ahnung von der Zwielichtigkeit der Erwachsenenwelt steht am Ende des Buches: ein Zeichen für den Abschied von der Lebensphase „Kindheit". Die Sprache der Erzählung ist der Weltauffassung der Kinder wunderbar angemessen, sie lebt von der Assoziation und vom Vergleich. Dass die Mitschüler an Kapka, „Der Neuen", vorbeigehen „wie an einem frischgestichenen Geländer", dass Jajin mit seiner gekrümmten Figur „an einen Kleiderbügel" erinnert, daß Radeks Schneidezähne viel zu groß sind, „als ob er sie sich aus einem anderen Gesicht ausgeliehen hätte" - dies und vieles andere macht die Lektüre zu einem ästhetischen Vergnügen auch und gerade für Kinder.
Personen
© Foto: privat