Zeit für die Hora
Roman
Ingeborg Bayer (Text)
Jurybegründung
Ingeborg Bayer hat mit ihrem Roman ein eindrucksvolles Zeit- und Entwicklungsbild Israels geschaffen: Wir erfahren, wie die Rückkehr der Juden ins Gelobte Land keine Heimkehr wurde, sondern die Überlebenden des Holocaust erneut in Lager und hinter Stacheldraht brachte, wir erfahren, wie ihre Leidensgeschichte sich eben nicht beenden ließ, sondern in Konflikte mündete, wohin man denn gehörte, wer man war und was man überhaupt wollte, und schon vor der Staatsgründung...
Ingeborg Bayer hat mit ihrem Roman ein eindrucksvolles Zeit- und Entwicklungsbild Israels geschaffen: Wir erfahren, wie die Rückkehr der Juden ins Gelobte Land keine Heimkehr wurde, sondern die Überlebenden des Holocaust erneut in Lager und hinter Stacheldraht brachte, wir erfahren, wie ihre Leidensgeschichte sich eben nicht beenden ließ, sondern in Konflikte mündete, wohin man denn gehörte, wer man war und was man überhaupt wollte, und schon vor der Staatsgründung umschlug in einen erneuten Kampf um das Recht zu überleben, wir erfahren, wie sich die Friedenshoffnungen der Menschen nicht verwirklichen ließen. Der Autorin gelingt es, die historischen Entwicklungslinien durch die Konzentration auf eine einzige Mittelpunktfigur für die Leser anschaulich und nacherlebbar zu machen. Mirjam ist eine der Geretteten, die sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs an Bord eines Flüchlingsschiffes zusammendrängen. Mirjam ist in einem Kibbuz aufgewachsen. Erst die Wiederheirat der Mutter mit einem schwäbischen Templer-Siedler, der sich als Nazi entpuppte, brachte sie nach dem Tod der Mutter zurück nach Deutschland zur jüdischen Großmutter. Hier erlebte sie den Krieg und die Verfolgung, der ihre Großmutter zum Opfer fiel. Aber es geht nicht nur um Lebensgeschichte. Es geht im Grund um 4000 Jahre jüdischer Geschichte, die die Figuren in sich tragen. „Wer ist ein Held? Der seinen Hasser zu seinem Liebenden macht". Mit diesem Wort aus dem Talmud ist die Hoffnung ausgedrückt, die auch Mirjam bewegt, wenn sie versucht, ihrer pazifistischen Überzeugung in der neuen Umwelt nicht untreu zu werden. Dagegen steht die Erfahrung der Bedrohung und die Entschlossenheit der Menschen in ihrer Umgebung, sich dieses Mal zu wehren. Jakob, der Hagana-Kapitän und Waffenbesorger, der Mirjam gerettet hat, erklärt es so: „...dass wir dieses Land um jeden Preis, welchen auch immer, zu halten versuchen werden. Für unsere Kinder. Und dass wir nur in und mit diesem Land die Sicherheit haben werden, dass für diese Kinder einst am Ende einer Eisenbahnlinie nicht eine Gaskammer, nicht Auschwitz, sondern ein Orangenbaum steht." Der Roman macht es unmöglich, in bezug auf diesen Konflikt leichthin ein politisches oder moralisches Urteil zu fällen.
Personen
Bayer absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zur Diplom-Bibliothekarin, studierte Medizin und Indologie und abeitete als Archivarin in einem medizinischen Archiv. 1963 veröffentlichte sie ihr erstes Buch, "Fliegende Feuer im Jahr 'Zwei Rohr'" (Herold Verlag). Es folgten zahlreiche Jugendbücher bei Arena, u.a. "Der Teufelskreis" (1968), "Begegnung mit Indira" (1970), "Flug des Milan" (1987), "Zeit für die Hora" (1988) – wofür sie im folgenden Jahr mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde - und schließlich ihr letztes Jugendbuch "Jacobäas Traum" (2004).
Parallel schrieb Ingeborg Bayer Romane für Erwachsene. Sie erhielt folgende weitere Auszeichnungen: Österreichischer Staatspreis (für "Die vier Freiheiten der Hanna B.", 1975), Preis der Friedrich-Ebert-Stiftung, Das politische Buch des Jahres (für "Ehe alles Legende wird", 1982) Kathrin-Türcks-Preis (für "Der Teufelskreis", Theaterfassung 1986), Friedrich-Bödecker-Preis (für ihr Gesamtwerk,1988).