Peter Härtling
wurde 1933 in Chemnitz geboren. Die Kriegsjahre verbrachte er in Olmütz, 1945 wurde er auf der Flucht nach Zwettl (Niederösterreich) verschlagen und kam unmittelbar nach dem Krieg nach Westdeutschland. Von 1952 bis 1962 war er als Journalist bei verschiedenen Zeitungen tätig, von 1962 bis 1970 Redakteur, ab 1964 Mitherausgeber der Zeitschrift Der Monat. Anschließend - von 1967 bis 1973 - übernahm er das Cheflektorat und die Geschäftsführung beim S. Fischer Verlag. Ab 1973 lebte Peter Härtling als freier Schriftsteller in Walldorf/Hessen.
Peter Härtling gehörte zu den wenigen Autoren, die für Kinder wie für Erwachsene schreiben und sich da wie dort einen Namen machen konnten. Wie nur wenige hat er sich mit theoretischen Fragen zur Literatur - auch zu der für Kinder - auseinandergesetzt. Seine "Frankfurter Poetik-Vorlesungen" von 1983/84 sind wie der größte Teil seiner Arbeit für Erwachsene bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.
Peter Härtling war Mitglied des "PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland", der "Akademie der Künste" in Berlin, der Mainzer "Akademie der Wissenschaften und der Literatur" und der "Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung" in Darmstadt.
Am 10. Juli 2017 ist Peter Härtling im Alter von 83 Jahren verstorben.
Jurybegründung
Peter Härtling, der Romancier und Lyriker, Herausgeber und Essayist, ist unzweifelhaft eine Schriftsteller-Persönlichkeit, von der die deutschsprachige Kinderliteratur der letzten 30 Jahre maßgeblich geprägt wurde. Mit seinem radikalen Einspruch gegen die Kinder- und Jugendliteratur der 60er-Jahre und seinem Anspruch, Kinderliteratur müsse die "Wirklichkeit der Kinder" beschreiben, gab Härtling der Erneuerung der Kinderliteratur Richtung und Schwung. Seitdem hat er in seinen Kinderbüchern die Probleme menschlichen Zusammenlebens offen und verantwortungsbewusst literarisch gestaltet. Er hatte damit nicht nur großen Einfluss auf die Lesesozialisation junger Menschen, sondern auch auf die Schreibhaltung vieler Autoren.
Schon mit seinem ersten kinderliterarischen Text, dem Versuch einer authentischen Reportage über das Leben seiner eigenen Familie (Und das ist die ganze Familie, 1970), wollte er die Wirklichkeit von Kindern dokumentarisch einfangen. Es ist zwar dieselbe Wirklichkeit, in der Erwachsene leben, aber sie wird aus der kindlichen Perspektive geschildert. Diese Wahrnehmungsweise prägt seitdem sein kinderliterarisches Schaffen. Mit erzählerischer Sicherheit holt er schonungslos alle Aspekte der Alltagserfahrungen von Kindern in seine Texte hinein. Seine kindlichen Protagonisten sind von der Trennung der Eltern ebenso betroffen wie von der Arbeitslosigkeit des Vaters, von den Problemen des Zusammenlebens mit alten Menschen oder dem Tod einer geliebten Person. Härtling geht in seinen Texten auf die Ausgrenzung von Kindern in einer Gesellschaft ein, die sich oft nicht zu helfen weiß, wenn jemand den herkömmlichen Normen nicht entspricht. Er scheut nicht davor zurück, große Empfindungen wie Zuneigung, Liebe und Lust, aber auch Verzweiflung, Schauer des Unerklärbaren und Zerrissenheit so zu beschreiben, dass sie voller Spannung lesend nacherlebt werden können. Seine literarischen Kinder werden von der großen Geschichte der Zeit ebenso in ein Niemandsland verschlagen wie Erwachsene.
Die Fähigkeit Peter Härtlings, die Alltagswirklichkeit unserer Zeit in packenden Geschichten zu beschreiben und dabei die gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge durchsichtig werden zu lassen, macht ihn zu einem maßgeblichen Vertreter des sozialkritischen Realismus in der Kinderliteratur. Sein Erzählen setzt auf die große Unmittelbarkeit und Angemessenheit erlebter Rede. Seine Texte sind stilistisch klar und einfach und für kindliche Leser leicht fassbar. Ihm gelingt der Blick ins Innere seiner Figuren. Aus deren Wahrnehmung der Umwelt und deren Reaktionen erschließt sich die Welt auch für die Leser. Es ist keine objektiv gedeutete Wirklichkeit, in der der Autor Kindern ein komplexes Innenleben und ein hohes Maß an Subjektivität zuschreibt. Mit seinen komplexen und unverwechselbaren Kinderfiguren macht es Härtling seinen Lesern möglich, sich auch mit Außenseitern und Randfiguren zu identifizieren. Trotz des gelegentlichen Verzichts auf Geschlossenheit und Kontinuität des Erzählens, trotz des oftmaligen Verzichts auf einen Lösungsoptimismus und ein eindeutig glückliches Ende wird den Lesern nie die Hoffnung genommen. Der Realist Härtling ist ein Botschafter der Humanität, auch ein Utopist, der für ein gelingendes Zusammenleben der Menschen wirbt. Und das ist seinen geglückten Kindergestalten eingeschrieben.
Sonderpreisjury 2001
Dr. Klaus Doderer
Franz Lettner
Claudia Rouvel
Bücher
Bibliografie
…und das ist die ganze Familie. Tagesläufe mit Kindern, Georg Bitter Verlag, 1970 (vergriffen, vollständig enthalten in Geschichten für Kinder, 1988)
Das war der Hirbel, Erzählung, 1973
Oma, Erzählung, 1975
Theo haut ab, Roman, 1977
Ben liebt Anna, Roman, 1979
Sofie macht Geschichten, 1980
Alter John, Roman, 1981
Jakob hinter der blauen Tür, Roman, 1983
Krücke, Roman, 1986
Geschichten für Kinder, 1988
Fränze, Roman, 1989
Mit Clara sind wir sechs, Roman, 1991
Erzählbuch. Geschichten, Gedichte, Texte, Proben, 1992
Lena auf dem Dach, Roman, 1993
Jette, Roman, 1995
Tante Tilli macht Theater, 1997
Reise gegen den Wind, 2000